Rechtsprechung

EuGH weitet in einem aktuellen Urteil Möglichkeiten der Vorratsdatenspeicherung aus

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einer aktuellen Entscheidung seine bisher strenge Rechtsprechung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gelockert. Aus dem Innenministerium wurden bereits erste Rufe nach einer Wiedereinführung der Speicherung von IP-Adressen laut.

Mit Urteil vom 20. September 2022 hatte der EuGH seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung unvereinbar mit EU-Recht sind, da das Unionsrecht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten wie zum Beispiel IP-Adressen oder Telefonnummern entgegensteht. Ausnahmen erkannte das Gericht nur in wenigen Fällen an, die sich aus dem Schutz der nationalen Sicherheit, der Bekämpfung schwerer Kriminalität und der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit ergeben. Insbesondere müsse die nationale Regelung einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum für eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen.

Diese Rechtsprechung hat der EuGH nun in einem Urteil in Sachen »La Quadrature du Net« und anderer Verbände gegen den französischen Premierminister und die Kulturministerin wegen französischer Regelungen des Schutzes von geistigem Eigentum im Internet nach eigenen Angaben präzisiert, im Ergebnis aber gelockert. Zum Schutz der Werke, an denen ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht besteht, vor Rechtsverletzungen im Internet wurden in einem französischen Dekret zwei Verarbeitungen personenbezogener Daten vorgesehen. Die erste besteht darin, dass Einrichtungen der Rechteinhaber IP-Adressen sammeln, die in Peer-to-Peer-Netzen zur Begehung solcher Rechtsverletzungen genutzt worden zu sein scheinen, und sie der Hohen Behörde für die Verbreitung von Werken und den Schutz von Rechten im Internet (HADOPI) zur Verfügung stellen. Die zweite umfasst unter anderem den Abgleich der IP-Adresse mit den Identitätsdaten ihres Inhabers durch die Internetzugangsanbieter auf Ersuchen der HADOPI. Diese Datenverarbeitungen ermöglichen es der Behörde, gegen die identifizierten Personen ein Verfahren einzuleiten, bei dem pädagogische und repressive Maßnahmen kombiniert werden und das in den gravierendsten Fällen zur Befassung der Staatsanwaltschaft führen kann. Dagegen wenden sich vier Vereinigungen zum Schutz der Rechte und Freiheiten im Internet und haben den französischen Conseil d’État (Staatsrat) mit einer Klage auf Nichtigerklärung des Dekrets befasst.

Der EuGH (Urteil vom 30.04.2024 – Az. C‑470/21) hat nun entschieden, dass die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte darstellt. Danach ist die Vorratsdatenspeicherung zulässig, wenn die nationale Regelung Speichermodalitäten vorschreibt, die eine wirksame strikte Trennung der verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten gewährleisten und es damit ausschließen, dass genaue Schlüsse auf das Privatleben der betreffenden Person gezogen werden können. Dafür können Speichermodalitäten sorgen, die eine wirksame strikte Trennung der IP-Adressen und der übrigen Kategorien personenbezogener Daten, insbesondere der Identitätsdaten, gewährleisten. Unter diesen Voraussetzungen kann die Vorratsdatenspeicherung auch dann zulässig sein, wenn es um die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet geht. Die EU-Mitgliedstaaten können zudem unter bestimmten Bedingungen der zuständigen nationalen Behörde Zugang zu den Identitätsdaten gewähren, die IP-Adressen zuzuordnen sind, sofern eine solche, die strikte Trennung der verschiedenen Datenkategorien gewährleistende Vorratsspeicherung sichergestellt worden ist. Wenn der Zugang zu Identitätsdaten der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel allein zur Identifizierung des betreffenden Nutzers dient, ist eine vorherige Kontrolle des Zugangs durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle nicht erforderlich.

Nach der Ankündigung von Justizminister Marco Buschmann, die Möglichkeit einer anlassbezogenen Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten (»Quick-Freeze«) einzuführen, kam nun der Konter aus dem Bundesinnenministerium. Bundesinnenministerin Nancy Faeser erklärte:

Der Europäische Gerichtshof hat durch das Urteil des Plenums aller 27 Richterinnen und Richter jetzt sehr deutlich entschieden, dass eine Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen zur Verbrechensbekämpfung nicht nur ausdrücklich zulässig ist, sondern auch zwingend erforderlich ist. An der Beschränkung auf Fälle schwerer Kriminalität wie der entsetzlichen sexualisierten Gewalt gegen Kinder hält der Europäische Gerichtshof nicht mehr fest.

Chloé Berthélémy vom Dachverband europäischer Digitalorganisationen sagt hingegen:

Das heutige Urteil des EuGH zum französischen Anti-Piraterie-System HADOPI stellt eine traurige Wende in der europäischen Rechtsprechung zum Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre im Internet dar.

Hamburg

Der Domainstammtisch trifft sich Mitte Juni 2024 zum Sommerevent

Der hamburger Domainstammtisch lädt zu seinem Sommertreffen am 14. Juni 2024 nach Hamburg. Anmeldungen sind bis 07. Juni 2024 möglich.

Beim hamburger Domainstammtisch trifft sich zwei Mal im Jahr die Domainer-Szene. Der diesjährige Sommerevent findet am 14. Juni 2024 statt. Wie gewohnt trifft man sich im Block-House in der Hoheluftchaussee 2 in 20253 Hamburg. Es haben sich bereits 15 Teilnehmer angemeldet. Nach aller Erfahrung werden es zum Termin sehr viel mehr.

Der kommende hamburger Domainstammtisch findet am 14. Juni 2024 wie gehabt um 19:00 Uhr im Block-House in der Hoheluftchaussee 2 in 20253 Hamburg statt. Eine Anmeldung für die Veranstaltung ist mindestens noch bis 07. Juni 2024 möglich. Für Domain-Investor*innen, die von weiter weg anreisen, empfiehlt der Stammtisch als Unterkunft die Schlaflounge Hamburg-Eimsbüttel (Vereinsstrasse 54b, 20357 Hamburg) und das Hotel Fritz im Pyjama (Schanzenstraße 101–103, 20357 Hamburg).

ccTLDs

Die Saudi-arabische Domain-Verwaltung führt neue Dienste für .sa ein

Die saudi-arabische Communications, Space and Technology Commission (CST) hat einige Änderungen für die Verwaltung der Landesendung .sa angekündigt.

Die jüngsten Neuerungen umfassen Vorschriften, um neue Dienste einzuführen, wie zum Beispiel die Einführung von Premium-Domains sowie die erstmalige Genehmigung für Inhaber einer .sa-Domain, diese über lizenzierte Registrierstellen weiterzuverkaufen. Die Aktualisierungen betrifft auch formale Umstände, so die Umbenennung des Dokuments »The Saudi Domain Name Registration Regulation« in »Saudi Domain Names Registration Regulations« und der »The Saudi Domain Name Dispute Resolution Rules« in »The Saudi Domain Name Dispute Resolution Regulations«. Die CST betont, dass die Anpassungen darauf abzielen, den saudi-arabischen Markt für Domain-Namen zu fördern und dazu dienen, mit dem neuen ICT-Gesetz zu harmonisieren; die fortgesetzte Nutzung einer .sa-Domain gilt dabei als rechtsverbindliche Zustimmung zu den Aktualisierungen. Zugleich werden die Domain-Inhaber nochmals aufgefordert, die Registrierungsdaten ihrer Domains und die Angaben zu den administrativen Kontakten zu aktualisieren.

ccTLDs

Die brasilianische Endung .br ist 35 Jahre alt

Nach .berlin und .eu jetzt .br: das offizielle brasilianische Länderkürzel feiert Geburtstag, und zwar Nummer 35.

Delegiert am 18. April 1989 vom inzwischen verstorbenen Internet-Pionier Jon Postel, waren .br-Domains am Anfang selten, nicht zuletzt, weil die Registrierung manuell von Statten ging. Im Februar 1991 wurde eine Subdomain-Struktur eingerichtet, mit .com.br, .net.br., .org.br, .gov.br und .mil.br. Im Jahr 1995 etablierte die akademische Community gemeinsam mit den Ministerien für Wissenschaft und Technologie sowie für Telekommunikation die Idee zur Gründung eines Internet-Lenkungsausschusses (CGI.br), um die mit dem Netzwerk verbundenen Initiativen zu koordinieren. Mit der Entscheidung für CGI.br und dem Ziel, es zu einer sich selbst tragenden Institution zu machen, wurde die Domain-Registrierung auch kostenpflichtig. Ein Jahrzehnt später, im Jahr 2006, war erstmals mehr als eine Million .br-Domains registriert, 2010 waren es bereits zwei Millionen. Mittlerweile liegen die technischen und administrativen Aspekte in den Händen von Registro.br. CEO Demi Getschko:

With 5.3 million domain name registrations, .br today celebrates an important milestone for our vibrant Latin American community. It is one of the most popular ccTLDs in the world, currently ranking sixth out of more than 300.

UDRP

Nach selbstverursachtem Verlust holt ein Tech-Unternehmen die Domain smartcontracts.com zurück

Während in der in der vorangegangenen Woche besprochenen Entscheidung zu because.com die Partei, die die Domain verloren hatte, sie über ein UDRP-Verfahren nicht zurückgewinnen konnte, war die Beschwerdeführerin, die die Domain smartcontract.com auf gleiche Weise verloren hat, erfolgreich. Was macht den Unterschied?

Die SmartContract Chainlink Ltd. betreibt ein Blockchain-unterstütztes Netzwerk und bietet verschiedene Dienstleistungen unter den Marken »SMARTCON« (am 05.09.2023 als US-Marke registriert) und »SMARTCONTRACT« an. Sie sieht ihre Rechte durch die Domain smartcontracts.com, die Sergey Nazarov, Mitgründer und CEO der Beschwerdeführerin, selbst 2014 registriert hatte, verletzt. Die Domain pflegte später ein Mitarbeiter, der 2023 das Unternehmen verließ, weshalb man wegen Nichtzahlung der Registrierungsgebühren die Domain 2023 verlor. Der aktuelle Inhaber erlangte in der Folge die Domain und bot sie zum Verkauf an. SmartContracts startete ein UDRP-Verfahren vor The Forum gegen den Expiry Assignment Service und Afternic LLC. Der Inhaber der Domain und eigentliche Gegner meldete sich nicht. Zur Zeit ist die Domain inaktiv. Als Entscheider wurde der australische Rechtsanwalt Nicholas J.T. Smith eingesetzt.

Smith bestätigte die Beschwerde und entschied auf Übertragung der Domain smartcontracts.com auf die Beschwerdeführerin, weil der Gegner sich in der Sache nicht meldete und nicht erklärte, warum er die Domain registrierte und zum Kauf anbot (The Forum Claim Number: FA2403002089491). Smith bestätigte die Ähnlichkeit zwischen Domain und Marke. Bei der Frage eines Rechts oder berechtigten Interesses des Gegners an der Domain stellte Smith zunächst den Anscheinsbeweis seitens der Beschwerdeführerin fest, die erklärt hatte, dass der Gegner von ihr nicht legitimiert sei, die Marke »SMARTCON« zu nutzen, und unter dem Domain-Namen nicht bekannt ist. Dass der Gegner die Domain zum Verkauf angeboten hat, stellte für Smith unter diesen Umständen kein gutgläubiges Angebot von Waren oder Dienstleistungen oder eine rechtmäßige, nicht-kommerzielle oder faire Nutzung im Sinne der UDRP da. Er bestätigte deshalb das Fehlen eines Rechts auf Seiten des Gegners. Er bestätigte auch die Bösgläubigkeit des Gegners, weil er, unmittelbar nachdem er die Domain registriert hatte, sie zum Verkauf anbot. Smith erklärt allerdings, dass er diese Einschätzung nicht leichten Herzens mache. Der Domain-Name besteht aus zwei generischen Begriffen, die zusammen ihrerseits eine allgemeine Bedeutung haben. Es könne sein, dass der Gegner die Domain wegen genau dieser generischen Bedeutung registriert und zum Verkauf angeboten hat. Da er sich aber dazu entschieden hat, an dem Verfahren nicht teilzunehmen und sich nicht zu seinen Beweggründen zu erklären, und weil keine Beweise vorliegen, die die Schlussfolgerung zuließen, es liege keine bösgläubige Registrierung vor, war für Smith auch das dritte Element der UDRP erfüllt. Smith führt weiter aus, dass er unter diesen Umständen berechtigt sei, alle vernünftigen Behauptungen in der Beschwerde zu akzeptieren, nämlich dass der Gegner die Domain, die sich seit mindestens acht Jahren in der Inhaberschaft der Beschwerdeführerin oder von mit ihr verbundenen Personen befand, in Kenntnis der Beschwerdeführerin und ihres Rufs registrierte und versuchte, aus diesem Ruf Kapital zu schlagen, indem er die Domain zum Verkauf anbot. Damit lagen für Smith alle Voraussetzungen der UDRP vor und er entschied auf Übertragung der Domain auf die Beschwerdeführerin.

Vergangene Woche hatten wir den Fall because.com besprochen, bei dem die Beschwerdeführer ihre Domain wegen Nichtzahlung der Registrierungsgebühren verloren haben, die aber im UDRP-Verfahren scheiterten (WIPO Case No. D2024-0709). Auch dabei handelte es sich um einen generischen Begriff. In dem dortigen Fall hatte sich der Gegner allerdings gemeldet und erklärt, er sei Domain-Investor, »because« sei ein allgemeiner Begriff und eine Domain mit dem Namen zum Verkauf anzubieten, sei nicht rechtswidrig. Mit der gleichen Argumentation hätte, das klingt mehr oder minder aus der entschuldigenden Erklärung von Smith durch, hier der Gegner ebenfalls die Abweisung der Beschwerde erreichen können. Aber wie ebenfalls vergangene Woche im Beitrag über den Artikel von Domain-Anwalt Gerald M. Levine angeklungen ist: Es gibt zwei Konstanten in UDRP-Verfahren, 95 Prozent der Fälle beruhen auf Cybersquatting und führen zur Bestätigung der Beschwerde und der Übertragung der Domain, und Gegner solcher Fälle reagieren nicht auf das Verfahren, weil es nichts zu verteidigen gibt. Sollte doch einmal einer in einem klaren Cybersquatting-Fall der Beschwerde etwas entgegenhalten, zeige sich, dass sie gar nicht begreifen, welche Anforderungen die UDRP an sie stellt.

Auf das Domain-Recht spezialisierte Anwälte findet man auf Domain-Anwalt.de, einem Projekt der united-domains AG.

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